Panikattacken: Die Angst zu sterben

Wie ich nach einer Stunde Atemnot in die Notaufnahme spazierte

Von einem Stechen in der Brust werde ich um 4 Uhr nachts aus dem Schlaf gerissen. Ich bekomme keine Luft! Meine Kehle wird von einer unsichtbaren Kordel Stück für Stück immer weiter zugeschnürt. Auf meiner Brust sitzt anscheinend ein tonnenschweren Bär und mein Herz fühlt sich wie ein Presslufthammer an, das in immer kürzeren Intervallen gleich durch meine Brust hindurch schießen wird.

Ich springe aus dem Bett, öffne in Sekundenschnelle mit von Schweiß triefenden Händen das Fenster und schnappe nach Luft. »ICH STERBE! Ich ersticke. Das war’s jetzt. Jetzt ist es vorbei!!!«, schießt es mir durch den Kopf, »oder ist das eine Panikattacke? Aber ich wurde bisher noch nie von einer Panikattacke aus dem Schlaf gerissen. Also muss es wirklich was Ernstes sein. Vielleicht habe ich einen Herzinfarkt? Eine Lungenembolie? Okay, erstmal versuchen, tief zu atmen. Aber das geht nicht! Okay, welche Farben siehst du gerade hier? Ja gar keine, es ist noch dunkel! Okay, welche Geräusche? Oh man Jacci, es ist mitten in der Nacht, alles ist ruhig!« Die ganzen Tipps bringen gerade nichts, also gehe ich nach draußen spazieren. Das hilft immer, mehr oder weniger.


»ICH STERBE. Ich ersticke! Das war’s! Jetzt ist es vorbei!!!«


Draußen laufe ich in meinem Pyjama die Straße entlang und versuche mich an die 3-4-7 Atemtechnik zu erinnern. Ich kann mich nicht konzentrieren. Meine Ängste nehmen immer weiter zu und ich vermute mittlerweile, dass ich einen Tumor in der Brust habe, der meine Luftröhre blockiert und ich deswegen schlecht Luft bekomme. Mittlerweile sind schon 30 Minuten vergangen und ich beschließe meine Schwester anzurufen, die Krankenschwester ist. Die weiß bestimmt, was ich machen soll.

1 Stunde später sitze ich in der Notaufnahme im Krankenhaus und warte auf den Arzt. »Jetzt geht es mir eigentlich schon wieder ganz ok, vielleicht hätte ich doch nicht kommen brauchen. Aber meine Schwester meinte, dass ich bei Schmerzen in der Brust auf jeden Fall ins Krankenhaus gehen sollte. Und sie hat ja schließlich Ahnung. Ich warte jetzt hier ab!« Der Arzt findet nichts, verschreibt mir Asthma Spray und ich gehe wieder nach Hause.

Diese Erfahrung war eine von vielen. Ich bin schon mehrmals in die Notaufnahme gelaufen, weil ich z. B. entweder dachte, dass ich einen Herzinfarkt oder eine Thrombose hatte. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn ich hatte nicht nur Angst vor akuten tödlichen Krankheiten, sondern auch vor Lungenkrebs, Hautkrebs, Brustkrebs (eigentlich jede Art von Krebs) Tumoren, Leberversagen, Herzmuskelstörungen und und und …

Mit jedem Arztbesuch, bei dem wieder nichts gefunden wurde, fand eine neue Angst vor einer noch schlimmeren Krankheit einen Weg in meinen Kopf und löste immer mehr Anxiety und Panikattacken aus. Das Resultat: eine Kette von Arztbesuchen bei meinem Hausarzt, HNO-Ärzten, Kardiologen, Dermatologen und Pulmologen. Also falls ihr wissen wollt, welche Ärzten ihr bei welchen Krankheiten aufsuchen müsst: Ich kann euch Auskunft geben!

Nichts von alledem dem ist aber jemals eingetroffen. Aber meine Angst war real und mein Körper schickte mir Signale. Lange Zeit habe ich mich komplett verrückt gefühlt. Nie wurde etwas gefunden. Aber es musste eine Ursache geben … Bildete ich mir das alles nur ein?!


Ich konnte mir selber nicht mehrt trauen!


Als sich dann letztes Jahr neben meiner Anxiety und den Panikattacken auch noch eine depressive Verstimmungen einschlich, beschloss ich eine Verhaltenstherapie anzufangen. Es dauert 6 Monate bis ich einen Platz fand … In dieser Zeit und mit der wöchentlichen Therapie wurde mir klar, dass es wirklich einen Grund für all meine Beschwerden gab. Nur eben nicht die, die ich bisher annahm. Die Ängste und ausgedachten Szenarien, die in meinem Kopf nie ein Ende fanden, hatten eine Ursache. Etwas, mit dem ich immer noch am Kämpfen bin. Aber nun kann ich mit mehr Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen diesem Thema und mir selber gegenüber treten.

Panikattacke und Anxiety können so viele unterschiedliche Ursachen haben wie es Sandkörner am Meer gibt. Bei jedem Menschen ist es anders. Jede Geschichte ist anders, jede Ursache. Ich kann nur jede*n ermutigen sich Hilfe zu holen, wenn man merkt, dass man es nicht schafft. Und damit meine ich nicht nur direkt in eine Therapie zu gehen, denn das ist ein großer Schritt. Für den Anfang ist es schon mutig, sich seinem nahen Umfeld anzuvertrauen. „Einfach“ darüber zu reden. Man ist nicht allein und braucht sich nicht zu schämen, denn viele Menschen kennen das stechende Gefühl in der Brust.

Hier findest du weitere Texte und Illustrationen zu meinen persönlichen Erfahrungen mit der Angst

Auf meinem Instagram Account @jacciullmann kannst du nicht nur meine Gedanken zum Thema mit mentaler Gesundheit, sondern auch meinen kreativen Illustrationsprozess verfolgen!

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Leistungsdruck: Die Angst zu versagen